Einen Wunsch erfüllt! Einmal noch wollte Martin Näf
die Füsse ins Wasser halten und mit dem Boot auf den See. Sein Freund Massemo
begleitet ihn. – Mittwoch, 13. Februar 2019, BAZ Seite 17, Basel-Stadt, Von
Dina Sambar
Stück für Stück arbeitet sich Martin Näf zu seinem Zimmer vor. Zuerst
schiebt er den Stuhl, an dem er sich festhält, dann zieht er das eine, dann das
andere Bein nach. Ab und zu tastet er mit jenem Arm, den er noch gut bewegen
kann, um sich, um zu wissen, wo er genau steht. Martin Näf ist blind und durch
einen Schlaganfall fast gelähmt: «Ich habe vor zwei Wochen beschlossen, dass
ich wieder selber gehe», erklärt der 63jährige Basler seine spezielle
Fortbewegungsart. Manchmal fällt ihm ein Wort nicht ein. Dann geht er laut das
Alphabet durch. Das hilft ihm, sich daran zu erinnern.
Trotz diesen doch beträchtlichen Einschränkungen reist Martin Näf immer wieder
alleine in den Kongo – das letzte Mal vor drei Monaten. Denn er hat einen Plan:
Er will dort eine Parzelle kaufen und darauf eine Schule und ein Wohnheim für
Blinde bauen. «Ich helfe so ganz konkret blinden Menschen, die ich vor ein paar
Jahren zufällig kennengelernt habe. Es geht blinden Menschen im Kongo sehr viel
schlechter als mir.»
Unidozent in Afrika
Martin Näf ist mit einer starken Sehschwäche auf die Welt gekommen. Mit 12
Jahren erblindete er vollkommen. Das hinderte ihn jedoch nicht daran,
Psychologie und Pädagogik zu studieren, zu doktorieren und unternehmungslustig
zu sein. So reiste er beispielsweise alleine auf dem Landweg durch den Iran,
Pakistan und Indien – und arbeitete als Dozent im Kongo: «Wenn ich Hilfe
brauchte, habe ich die von der lokalen Bevölkerung immer erhalten», sagt Näf.
In seiner Zeit als UniDozent kam Martin Näf zufällig mit blinden Kongolesen in
Kontakt. So lernte er auch Lundimu kennen, die an einer Blindenschule
unterrichtete:
«Da habe ich das erste Mal begriffen, wie armselig es ist, im Kongo arm und
blind zu sein. Lundimu lebte in einem kleinen Zimmer ohne Strom und fliessendes
Wasser, in dem sie gleichzeitig auch unterrichten musste», sagt Näf. Blinde, so
erzählt er, werden in Schulen oft gar nicht erst aufgenommen und haben deshalb
ganz selten eine Schulbildung. Die Folge: Sie finden als nicht sehende
Analphabeten kaum Arbeit und leben überdurchschnittlich oft auf der Strasse.
Näf begann für die Schule von Lundimu Blindenschrift bücher zu sammeln. Doch
erst als er nicht mehr an der Uni arbeitete, begann er, gemeinsam mit weiteren
Schweizern, mehr Zeit in die Hilfe zu investieren.
Im Jahr 2012 gründete er die Hilfsorganisation DarsiLaMano, mit der er Geld für
die Unterstützung blinder Menschen und für eine normale Privatschule sammelte.
Viele Schicksalsschläge
2013 änderte ein Hirnschlag jedoch alles. Näf war damals 58 Jahre alt und
befand sich im Niger, wo er auf dem Land dabei half, zwei einfache Häuser
aufzubauen.
Der Nigrer Moussa brachte ihn sofort in die Hauptstadt ins öffentliche
Krankenhaus und kümmerte sich dort um ihn. «Er hat mich gepflegt und mir Essen
gebracht. Schwestern gibt es für solche Aufgaben dort keine.» Martin Näf konnte
nicht mehr sprechen und ein Bein und einen Arm nicht mehr bewegen. Er rappelte
sich jedoch auf, lernte langsam wieder zu gehen und ein bisschen zu sprechen.
Doch es folgte eine Reihe weiterer Schicksalsschläge. Näf brach sich in der
Dusche ein Bein und konnte nach einer Operation gar nicht mehr gehen. Zudem
hatte er einen epileptischen Anfall: «Vor der Epilepsie war ich fit im Kopf.
Nun vergesse ich immer wieder Sachen. Das ist das, was mich von all diesen Einschränkungen
am meisten stört.» Vor drei Jahren verschlechterte sich sein Gesundheitszustand
zusehends. «Ich war so schwach, dass ich dachte, ich würde sterben. Ich sah
keinen Ausweg mehr. Deshalb legten ich und mein Bruder, der den Verein
DarsiLaMano in jener Zeit für mich führte, das Projekt auf Eis.» Die Schwäche
sollte sich späterals unentdeckte Lungenentzündung herausstellen, die behandelt
werden konnte. «Es gab Zeiten, da konnte und wollte ich nicht mehr. Ich war
viel zu fest mit mir und meinem Schicksal beschäftigt», erzählt Näf. Doch
während dieser ganzen Zeit hielten drei seiner Freunde aus dem Kongo zu ihm:
«Sie haben mir immer wieder EMails geschrieben, um sich nach meinem
Gesundheitszustand zu erkundigen und mir gute Besserung zu wünschen. Manchmal
riefen sie sogar an, obwohl das für sie sehr teuer ist. Drei, vier Jahre lang
war das sehr einseitig. Ich hatte keine Kraft, mich zu melden.»
Begegnung auf der Strasse. Martin Näf trifft zufällig eine Frau in einem selbst
gebauten Rollstuhlvelo. Die beiden tauschen sich aus. 2018
Seine Lebensgeister und damit seine Unternehmungslust erwachten
glücklicherweise wieder. Es ist nur schwer vorstellbar, wie er – blind und mit
einer Lähmung – eine Reise antritt, die sich zum Teil nicht mal gesunde
Menschen zutrauen würden. «Zwei kongolesische Freunde haben mich abgeholt.
Anders geht es gar nicht. Als ich nur blind war, konnte ich mir viel schneller
einen Überblick über eine fremde Umgebung verschaffen. Im Rollstuhl ist das
nicht so einfach, man verliert schnell die Orientierung. Ich bin im Kongo
blinder als blind», sagt Näf.
Wohnheim für Blinde
Trotzdem gibt er nicht auf: «Die Schule für Blinde, die es mittlerweile dort
gibt, ist ein Fortschritt. Allerdings ist sie winzig und kann nicht mehr als
fünf Schüler aufnehmen.» Auch der Schulweg sei ein Problem. «Wenn die blinden
Kinder ein paar Kilometer von der Schule entfernt leben, ist es für sie nicht
mehr machbar, den Weg jeden Tag zurückzulegen. Die Eltern haben alle kein Auto.
Wenn wir mehr Kindern helfen wollen, müssen sie dort wohnen können», sagt Näf.
In diesem Wohnheim würde er auch gerne alte Blinde aufnehmen, denen es oft noch
schlechter ergehe.
Um diese Idee zu realisieren, ist er nun dabei, Geld zu sammeln. 50 000 bis 80
000 Franken brauche es, um die Parzelle zu kaufen und darauf zu bauen.
«Allerdings ist das nur der erste Teil. Es sollen dort ja 40 bis 50 Menschen
leben, und die brauchen Nahrung und medizinische Versorgung», sagt Näf, bei dem
man sich fragt, wie er sich trotz aller Schicksalsschläge immer noch so aktiv
für andere einsetzen kann. «Wenn ich müde oder schlecht gelaunt bin, hadere ich
schon mit meinem Schicksal. Doch ich bin in diesem Hader nicht gefangen. Da ist
immer noch Neugierde, Neugierde auf diese Welt.»
Verändert habe ihn der Hirnschlag aber schon: «Früher war der Tod für mich kein
Thema. Jetzt gehe ich davon aus, dass ich jederzeit sterben könnte.» Deshalb
arbeitet er daran, dass der Verein DarsiLaMano auch ohne ihn auf stabilen
Beinen stehen kann. «Ich will aber unbedingt noch erleben, wie diese Schule und
dieses Blindenheim entstehen!»
Infos zum Verein und Spendenkonto: www.darsilamano.org